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Metamorphosen der Körpersprache Die Bewegung des menschlichen Körpers im Raum ist seit einigen Jahren Thema und Ausgangspunkt der Malerei von Marie-Hélène H.-Desrue. In Auseinandersetzung mit dieser komplexen künstlerischen Aufgabenstellung entstanden mehrere Werkgruppen, die das Phänomen der Bewegung aus verschiedenen Blickwinkeln anschaulich werden lassen: Zum einen am Körper selbst, der als ausschnitthaft wiedergegebene Aktfigur in Erscheinung tritt, zum anderen durch Körperspuren, in denen sich Bewegung als visuelles Zeichen artikuliert. Dazu gehören vor allem handschriftliche Zeichnungen und skripturale Elemente. Sie formieren sich zu einem graphisch-linearen Gerüst, das Ursprung und Bezugspunkt des malerischen Prozesses bildet. Die beiden wesentlichen Elemente der Bildgestaltung - handschriftliche Notate und Körperfragmente - bleiben jedoch nicht prinzipiell getrennt, sie verbinden sich in zahlreichen Arbeiten vielmehr zu einer neuen, selbständigen Einheit. Dies gilt sowohl für die einzelnen Gemälde wie auch für die Bilderfolgen, in denen sich mehrere, einander verwandte Tafeln dialoghaft ergänzen. Ausdruck und Wirkung der Gemälde werden durch die Wahl der bildnerischen Mittel und die individuelle Arbeitsweise der Künstlerin entscheidend geprägt. Betrachtet man die Kompositionen genauer, so lässt sich am impulsiven Duktus und an der Art des Farbauftrags ablesen, dass hier nicht die Realisierung einer vorgefassten, eindeutig definierten Bildidee im Vordergrund steht, im Gegenteil: Die Malerei von Marie-Hélène H.-Desrue zeichnet sich gerade durch eine bemerkenswerte Offenheit für die Eigendynamik des künstlerischen Prozesses aus; sie schließt das schöpferische Potential des Augenblicks, die spontane Intuition und den Zufall bewusst mit ein. So durchläuft jedes Bild sukzessive verschieden, nicht vorhersehbare Entwicklungsstufen. Weich modulierte, ineinander fließende Farbformen und graphische Lineaturen verschmelzen durch wiederholte Übermalungen zu einem dichten, transparenten Gewebe von lebhafter Textur. Der Blick öffnet sich in Farbräume, in die zarte, flüchtige Liniengespinste oder kraftvoll-expressive Schriftgesten verflochten sind. Zeichen gehen in Figuren über, Figürliches verwandelt sich in Zeichenhaftes und evoziert die Vorstellung fortwährender Bewegung und Veränderung. Nichts ist statisch und gleichbleibend, der Kreislauf von Konkretisierung und Auflösung, von Entstehen und Vergehen unterwirft alle Erscheinungen einer unablässigen Metamorphose in Raum und Zeit. Zuweilen verdichtet sich der Farbraum zum lyrisch gestimmten Landschaftsraum, wie überhaupt Inspirationen aus der Natur einen wichtigen Einfluss auf die Bildgestaltung ausüben. Sie bestimmen auch die subtile, atmosphärische Farbgebung, wobei blau, die Farbe der Ferne und der Transzendenz, in unzähligen Nuancen dominiert. Die Schriftfragmente geben Passagen ausgewählter Gedichte, Auszüge aus Tagebüchern und ähnliches mehr wieder; es handelt sich also keineswegs um willkürlich ins Bild übertragene Textteile. Der Betrachter, auf diese Weise mit Schrift konfrontiert, versucht zunächst, das Geschriebene zu lesen. Doch die Schriftspuren verweigern sich der Dechiffrierung, die Entschlüsselung des Inhalts ist nicht möglich, Vertrautes erscheint in eigentümlicher Weise verfremdet. Einmal ihrer Lesbarkeit, ihrer Funktion als Bedeutungsträger im herkömmlichen Sinn und ihrer intellektuellen Rezipierbarkeit entkleidet, nimmt der Betrachter in den Schriftbildern nun um so mehr den Ausdruck von Dynamik und Rhythmus als flüchtige, vergängliche Manifestation individueller Körperbewegungen wahr. Insofern erscheinen gerade jene Gemälde, in denen die skripturalen Körperspuren wesentliches Gestaltungselement sind, wie die anschauliche Umsetzung eines Gedanken von Roberto Juarroz - eine Sentenz, die übrigens auch als Textteil in mehrere Werke integriert wurde: "Alle Leidenschaften der Welt verlieren sich außer einer Vielleicht, der Leidenschaft für den Verlust. Alles andere verliert sich, die Rose, die Stimmungen, dein Antlitz, das Leben, das Fenster, der Tod. Auch dieses Wort verliert sich, seine Lesart, sein Geräusch. Einzig bleibt der Ausweg: den Verlust in Leidenschaft zu verwandeln." Das Prinzip der Transitorik, des fließenden Übergangs bestimmt auch die Darstellung der Aktfiguren, bei denen es sich vorwiegend um Fragmente, nicht um anatomisch vollständige Körperbilder handelt. Ausgangspunkt ist stets die Arbeit mit dem Modell; aus der unmittelbaren Begegnung mit dem Naturvorbild entwickelt die Künstlerin tänzerisch bewegte, schwerelos in einem undefinierbaren Raum schwebende Figuren, die entweder in Ausschnitten oder torsohaft verkürzt gezeigt werden. Sie erinnern an bildnerische Analogien zu Sequenzen in Musik und Tanz; ihre Haltung, Bewegungen und Gebärden sind Ausdruck innerer Zustände und Empfindungen. Ursula Merkel |
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